DDG-Mitglied Samira Khodaei lebt in München und arbeitet bei der vr-on GmbH im Business Development: Das Startup arbeitet daran, dass sich Mitarbeiter von Unternehmen in der virtuellen Realität zu Meetings treffen können.

Der DDG-Netzwerkreporter traf sich mit Samira Khodaei noch im schnöden Skype, um etwas zu reden. In Bayern war Schneechaos und Verbindungsprobleme hatten wir auch, die Verbindung brach mehrmals ab. Es ist noch ein langer Weg bis zur perfekten virtuellen Realität. Trotzdem  kam ein schönes Gespräch zustande – Samira vermittelt dir gleich das Gefühl, dass alles gut ist – egal wie gestresst man selbst ist. Sie lacht unglaublich viel und man will ihr einfach zuhören. Wir haben trotzdem mitgeschrieben.

Netzwerkreporter: Was genau machst du in deinem Job?

Samira:  Mein Jobtitel lautet „Business Development“. Das ist alles und nichts zwischen Marketing, Vertrieb und technischem Consulting. Mein Unternehmen heißt vr-on. In meinem Studium habe ich mich mit  Informatik und Spiele Programmieren beschäftigt. Ich habe dann die Schwierigkeit gehabt, zwei Mal den Jobeinstieg zu haben.

Mein erster Versuch lief etwas holprig, weil ich mich damals auf eine technische Stelle beworben habe, man aber eigentlich jemanden im Eventmanagement gesucht hat. Damals habe ich einfach zugesagt und nicht richtig darüber nachgedacht. Nach einem Dreiviertel Jahr habe ich dann festgestellt, dass das einfach nicht das ist, was ich machen möchte. Ich habe mich technisch unterfordert gefühlt. Hinzu kam, dass sich 2016 fast jedes Unternehmen als virtuelle Realität, kurz VR, Unternehmen hingestellt hat. Das war eigentlich genau das, was ich machen wollte, meine Firma bot mir aber trotz Versprechen kaum etwas in diesem Bereich. Also habe ich nach einem Dreiviertel Jahr gedacht: „Fuck it, ich suche mir was Neues, ein Startup.“

Meine heutigen Chefs bei vr-on machen seit den 1990 Jahren VR, sind quasi VR-Veteranen. Das fand ich attraktiv, ein Startup mit viel Background.

DD-Mitglied Samira Khodaei (c) Debating Society Paderborn

Netzwerkreporter: Was genau ist VR? 

Samira: Virtual Reality – also VR – kam durch die Oculus Rift (ein Head-Mounted Display, also eine schwere Brille, die sich die Nutzer auf den Kopf setzen und in der sie direkt in Bildschirme schauen, Anm. d. Red.) – 2014 richtig groß raus, und es gab einen Hype-Zyklus, so wie aktuell bei Augmented Reality. VR und AR sind Begriffe, die immer wieder auf diesem Hype-Zyklus herumreiten. 

Schon in den 1960 Jahren und 1990 Jahren gab es solche Hype-Zyklen. Als in den Neunzigern ein Sprung in der Computergrafik kam, konnte man 3D Räume realisieren. Es gab mal die Idee, das ultimative Display zu bauen. Es gab riesige Räume, die mit 3D Beamern ausgestattet waren. Mit 3D Brillen konnte man sich Objekte in 3D anschauen. Diese Räume kosten locker eine halbe Million. In diesen Räumen konnte man aber nur auf eine Person tracken: Nur von einer Person konnten Bewegungen dargestellt werden. Das führte für alle anderen meistens sofort zur Motion Sickness, ihnen wurde also schlecht, weil sie Dinge sahen, die sie selbst nicht ausführten.

Erst im Jahr 2016 kam Schwung in den Markt durch HMD, also die Head-Mounted Displays. Jetzt besteht erstmals die Möglichkeit, diese Brillen für den Cosumer Market zu nutzen. Die Brillen sind zwar immer noch sehr teuer, aber für KMUS erschwinglich.

Netzwerkreporter: Für wen ist VR denn jetzt interessant? 

Samira: Jetzt vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Zum Beispiel Architekturbüros. Die hatten bisher nicht die Kapazität, große 3D Räume zu bauen, im Gegensatz zur Automobilindustrie. Jetzt ist das Spannende, dass man kollaborativ arbeiten kann. Sprich, man kann von verschiedenen Stadtorten gemeinsam an einer Session teilnehmen. Ich habe beispielsweise einen VR-Meetingraum, in dem ich an einem neuen Auto mit Designern, Ingenieuren und allen möglichen Beteiligten gemeinsam arbeiten kann. Alle setzen sich dort, wo sie sind, ihr Headset auf und schauen sich gemeinsam den Datensatz an, machen Änderungen und geben sie frei. Das Produktdatenmanagement speichert und verwaltet die Daten, und damit das Ergebnis der Produktentwicklung und stellt sie in nachgelagerten Phasen des Produktlebenszyklus weiter zur Verfügung.

Diesen ganzen Prozess betreut vr-on. Wir entwickeln die Software, in der das geht und arbeiten im Bereich Business-to-Business. Gerade zum Beispiel für Architekten ist Bauwerksdatenmodellierung (BIM) wichtig. Also die optimierte Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden und anderen Bauwerken mit Hilfe von Software.

Netzwerkreporter: Kannst du uns noch ein konkretes Beispiel nennen?

Samira: Wir haben eine Supermarktkette als Kunden, der seine Stores damit einrichtet. Früher mussten sie für ein neues Ladenkonzept einen Laden in einer Halle komplett und exakt aufbauen, damit der Vorstand durchlaufen konnte. Und das mehrfach, für mehrere Entwürfe. Mit unserer Software können sie sich das sparen. Am Ende läuft man vielleicht noch einmal final durch diesen Laden, aber alle zehn Runden vorher kann der Vorstand in VR machen. Das ist eine wahnsinnige Ersparnis, wenn man den Vorstand nicht zu solchen Abstimmungen einfliegen muss.

Netzwerkreporter: Vorhin sagtest du, du wolltest unbedingt in den Bereich virtuelle Realität?

Samira: Ich bin ja vom Fach her Medienwissenschaftlerin. Ich habe mich an der Uni für 360°Filme interessiert. Da kann man eigentlich alles, was man so gelernt hat, erstmal in die Tonne kloppen, weil sehr viele Strategien, Arbeitsweisen, Abläufe komplett aufgebrochen sind. Man kann nicht mehr so viel und so schnell schneiden, wie die Zuschauer es eigentlich von der Sehgewohnheiten her kennen Und man muss die Logistik des Drehs komplett verändern: Wo versteck ich die Leute, die sonst eigentlich hinter der Kamera stehen? Die Filme sind wieder viel näher am Theater.

Erlebnisse in der VR gehen dann noch einen Schritt weiter: Im 360° Film sehe ich nur zu, ich stehe im Raum wie ein Geist. In der VR kann ich interagieren. Das fand ich super spannend. Als Medienwissenschaftler haben wir unsere primären, sekundären und tertiären Medien und die sind alle schön sortiert und eingeordnet. Wir haben Luhmann, McLuhans und alle möglichen Soziologen und Forscher, die sich zu verschiedenen Medien und ihren Wirkmechanismen geäußert haben. Doch wenn wir in eine virtuelle Welt gehen, was passiert dann dort?

Ich glaube, es ist wichtig, dass in das VR-Feld nicht nur Leute reingehen, die Sachen bauen, sondern auch Leute, die überlegen, was es bedeutet, wenn man so eine VR aufbaut: Welche Konsequenzen für andere kann das haben? Ich glaube es ist wichtig, dass Geisteswissenschaftler, Soziologen und Medienwissenschaftler in VR reingehen und das auch mitgestalten.

Netzwerkreporter: Entwickelt sich der Markt wirklich in Richtung virtuelle Realität?

Samira: Ja, immer mehr Firmen probieren sich damit aus. Sie kaufen sich die Brillen und schauen, wie man sie einsetzen kann.

Netzwerkreporter: Du hast erzählt, dass du zweimal starten musstest. Bei deinem ersten Arbeitgeber hast du recht schnell gemerkt hast, dass du da nicht hinpasst. Wie schwer ist so eine Entscheidung?

Samira: Ja, das war nicht der angenehmste Schritt. Aber etwas, was ich echt empfehlen würde. Ich bin eigentlich niemand, der ständig schlecht gelaunt ist oder nur am meckern ist. Aber in diesem Unternehmen war ich das. Ich bin nicht einmal nach Hause gekommen und hatte gute Laune. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass ich ausgenutzt werde.

Ich hatte eine klare Vorstellung gehabt, was ich in diesem Unternehmen machen möchte und wo ich hinwill und für mich war dieser Job im Eventmanagement ein Kompromiss. Eigentlich wollte ich ja im technischen Bereich arbeiten. Das hatte ich auch früh gesagt. Ein Gespräch darüber führte aber nur dazu, dass ich quasi 2 Jobs gemacht habe. Das wollte ich langfristig auch nicht. Daher habe ich gekündigt und nach etwas Neuem gesucht. Diesen Schritt kann ich wirklich nur jedem empfehlen: Hinterfragen, wo man hin will. Bringt mich mein aktueller Weg dorthin? Was muss ich dafür ändern? Man muss sich nicht selbst mit dem falschen Job klein machen.

(c) Samira Kohdaei

Netzwerkreporter: Stell dir vor, du hättest ein Plakat, auf das du drucken kannst, was du willst. Was wäre da drauf und wo kommt es hin?

Samira: Ich habe jetzt wieder angefangen zu malen, Acrylfarbe genommen und so ein Krackelmuster da drauf gemacht. Ich habe so eine blaue Wand bei mir zu Hause. Da würde das hinkommen. Das würde ich machen.

Netzwerkreporter: Wenn du jetzt ein Aufruf starten könntest, um etwas zu starten, etwas anzufangen und zu bewegen. Was würdest du fragen?

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